Persönlichkeiten des Judentums: Hillel – Ein sanftmütiger Gelehrter.

Die Epochen des Judentums, das seit über 3000 Jahren besteht, waren – wie jede andere Religion und Kultur – von bedeutenden Persönlichkeiten ihrer Zeit geprägt. Die Art wie man die Thora, das Gesetz des Judentums, nach dem babylonischen Exil Israels auslegte, verstand und lehrte war durch eben diese Persönlichkeiten geprägt. Neben seinem Zeitgenossen Rabbi Schammai gab es um die Zeitenwende vor allem einen bedeutenden Rabbi der Israel durch seine Auffassung und Auslegung der Thora nicht nur damals prägte, sondern auch bis in die heutige Zeit beeinflusste: Rabbi Hillel auch „Hillel der Ältere/Alte“, (Hebr.  הִלֵּל הַזָּקֵן), genannt.

Bevor sich das rabbinische Judentum nach der Zerstörung des zweiten Tempels 70 n. Chr. als Hauptströmung entwickelte, war die Anrede „Rabbi“ (Hebr. רַבִּי für „Mein Meister“) lediglich eine respektvolle Anrede für Gelehrte der Thora, die durch den Sanhedrin, den Hohen Rat, für Richterdienste und den Dienst der Thoraauslegung ordiniert wurden und in ihrem Amt parallel zu den Priestern dienten.

Hillel, Mitte bis Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. geboren, gestorben etwa 10 n. Chr., war ein solcher jüdischer Lehrer, der neben seinem Amt als Oberhaupt der Thoraschule „Bet Hillel“ und später auch Vorsteher des Hohen Rates in Jerusalem, einen der bedeutendsten pharisäischen Rabbis seiner Zeit darstellte.

Im Talmud wird Hillel manchmal als „Hillel der Babylonier“ bezeichnet, da Babel seine Heimat- und Geburtsstadt war, in welcher er aufwuchs, bevor er erst in seiner Jugend nach Judäa kam.

Die beiden jüdisch-religiösen Thoraschulen Schammais und Hillels standen in der jüdischen Lehre in der Zeit um die Zeitenwende immer wieder stark im Diskurs und vertraten in vielen Bereichen, wie u.a. Fragen der Ethik, der rituellen Praxis oder der Auslegung und Gestaltung des Mosaischen Gesetzes im Alltag, unterschiedliche Ansichten. Diese Fragen waren für die Gestaltung des jüdischen Lebens, das über Jahrhunderte neben der Thora lediglich mündlich überliefert und erst zum Anbruch des rabbinischen Judentums 70 n. Chr. begonnen wurde verschriftlicht zu werden, entscheidend.

Die Goldene Regel

Im Gegensatz zu Schammai, der die Thora wesentlich strenger und „dem Buchstaben getreu“ auslegte,  war Hillel für eine mildere Auslegung der Thora bekannt. Ihm war der Hintergrund und das Gesamtverständnis des Gesetzes wichtiger, als jedes der 613 Gebote bis ins kleinste Detail befolgen zu müssen. Diese Milde machte es z.B. Ausländern und Fremden, die zum Judentum konvertieren wollten, sehr viel leichter Proselyten zu werden, weshalb zu keiner anderen Zeit des Judentums die jüdische Bevölkerung so sehr anstieg wie zur Zeit Hillels.

Der Talmud beschreibt dies in „Schabbat“ Kapitel 2, 31a wie folgt:

„Abermals ereignete es sich, daß ein Nichtjude vor Šammaj trat und zu ihm sprach: Mache mich zum Proselyten unter der Bedingung, daß du mich die ganze Tora lehrst, während ich auf einem Fuße stehe. Da stieß er ihn fort mit der Elle, die er in der Hand hatte. Darauf kam er zu Hillel und dieser machte ihn zum Proselyten und sprach zu ihm: Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora und alles andere ist nur die Erläuterung; geh und lerne sie.“

Die Goldene Regel der Nächstenliebe, in welcher nach Hillel die ganze Thora in einem Satz enthalten ist, gleicht der Aussage Jesu in Matthäus 22, 37-40 in welcher er auf die Frage eines Gelehrten nach dem Höchsten Gebot der Thora folgendes antwortet:

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

Neben der Nächstenliebe stand auch die Gewaltlosigkeit in Hillels Lehre zentral. Sein sanftmütiges, geduldiges und freundliches Wesen weist eine weitere Ähnlichkeit zu Jesus von Nazareth auf der von sich sagt: „ …denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig…“ (Matthäus 11,29).

Trotz dieser formellen Ähnlichkeiten bleibt es allerdings schwer weitere Parallelen zwischen Hillel und Jesus zu ziehen, da der Schwerpunkt der Lehre Jesu gemäß dem Neuen Testament eine Lehre mit völlig anderen entscheidenden Schwerpunkten darstellt die mit Hillels Lehre der Thora im Kern unvergleichbar bleibt.

Ein bleibender Einfluss

Hillels sanftmütige Art zu Lehren prägt die Lehre des Judentums bis in die heutige Zeit, denn das jüdische Gesetz folgt noch heute in vielen Teilen der Schriftauslegung Hillels. Im Gegensatz zur Schammais Schule, die eher als „bindend“ bezeichnet wurde, galt und gilt Hillels Lehre bis heute als „lockernd“ und befreiend.

Der Talmud folgt in vielen Teilen den Lehren Hillels, lässt aber dem gesetzestreuen Juden auch die Möglichkeit, neben der Schule Hillels der Schule Schammais zu folgen. Beiden Lehren, so unterschiedlich sie auch sein mögen, seien gut, solange ihnen zu folgen denn konsequent geschehe. Die Mischna bearbeitet zudem 18 Themen, in welchen Schammais Ansichten gegenüber Hillels bevorzugt werden (nachzulesen in der Mischna, Schabbat, Kapitel 1,3).

Die Mischna, in welcher viele Begebenheiten zwischen Hillel und Schammai aufgeschrieben sind, zeichnet ihre Rivalität und Unterschiedlichkeit an keiner Stelle negativ, sondern stets als konstruktive Auseinandersetzung, da sie beide Seiten der oft gegensätzlichen Lehre als wichtig und wahr darstellt, die die jeweilige Gegenmeinung nicht missen dürfe. Viele weitere Begebenheiten zwischen Schammai und Hillel lassen sich im Talmud nachlesen und es ist spannend ihren Lehren und wie sie das Judentum und seinen heutigen Strömungen prägten nachzugehen. Die Webseite www.sefaria.org/texts bietet die Möglichkeit die Schriften des Judentums selbst einmal im Detail zu studieren.

Laut dem tannaitischen Midrasch, der mündlich überlieferten autoritativen rabbinischen Lehre der Zeit bis ins 2. Jahrhundert n. Chr., wurde Hillel, wie Mose, 120 Jahre alt. Seinem Lebenslauf werden zudem einige weitere Parallelen zu dem Lebenn von Mose zugeschrieben, die allerdings nicht belegbar sind.

 

 

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